Saaltext von Marc Munter zur Ausstellung verortet.dot.com von Doris Staub Muster in der Galerie Béatrice Brunner (Bern, August 2015):
In ihrer jüngsten Werkserie verortet.dot.com bringt Doris Staub Muster das Wechselspiel zwischen ihrem ständigen Unterwegssein als Vielreisende und ihrem Verweilen an verschiedenen Orten buchstäblich auf den Punkt. Der Titel spielt auf unser aller Gebrauch des Internets an, wobei wir gleichsam "surfen" und innehalten in einem weltumspannenden, virtuellen Netz. In den letzten Jahren gewann das Reisen und sich Aufhalten in der weiten, realen Welt für die Künstlerin zusehends an Bedeutung. Ihre zahlreichen Erfahrungen und Begegnungen an unterschiedlichsten Orten sowie Momente der Selbsterkenntnis spiegeln sich gleichsam in den Fotografien im Galerieraum, aber auch in der Zusammenstellung von Andenken ihrer Aufenthalte im Projektraum wieder.
Auf den Reisen markierte Doris Staub Muster Dinge und Momente teils mit weissen, teils mit bunten Kreisflächen und hielt diese neu gewonnenen Eindrücke fotografisch fest. Die subtilen Eingriffe erinnern bisweilen an das künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum, dessen Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Gerade in jüngerer Zeit nehmen Kunstwerke in der Öffentlichkeit unterschiedliche Gestalt an und können ebenso flüchtig wie beständig sein. Sie fordern auf zum Innehalten im schnelllebigen Alltag und ermöglichen neue Sichtweisen auf eine vertraute oder bislang weniger beachtete Umgebung. Die Punkte von Doris Staub Muster verändern die bereisten Orte, verleihen ihnen etwas Fremdes, Unnatürliches, Subversives. Kreisen haftet etwas Urtümliches an, sie stehen für die Erde wie für die Sonne. Als geometrische Grundform sind sie beliebt in der Grafik, erheischen Aufmerksamkeit, gleichzeitig haben sie eine ausgleichende Strahlkraft, beim Kreis ist alles in Balance. So nehmen die gepunkteten Bildwelten von Doris Staub Muster ebenfalls unterschiedliche Gestalt an: Mal durchbrechen ihre Kreise die Monotonie von Fussböden oder Wandtapeten, wirken verspielt und dekorativ; mal fügen sie sich wie ein Gewächs oder wie Blüten in eine natürliche Umgebung ein. Als markante Zeichen stecken sie immer einen Bereich ab und bestimmen zusammen mit dem Fokus der Kamera das Bild. Gleichzeitig sprechen sie für eine individuelle Setzung der Künstlerin und eröffnen unserer Wahrnehmung ungeahnte Freiräume.
Als buntes Arrangement wirken die Reisesouvenirs von Doris Staub Muster im Projektraum einerseits beschaulich wie eine Tischdekoration; andererseits gehören sie in keiner Weise zusammen, zumal sie unterschiedlichsten Erdteilen und Kulturen entstammen. In dieser harmonischen Disharmonie geben sie das Bild einer globalisierten Welt wieder und regen zum Nachdenken über das Fremde als Gegenüber und in der eigenen Nachbarschaft an. In den Andenken stecken teils Traditionen und Bräuche, aber auch deren Verklärung, Kommerzialisierung und Überformung hin zum Kitsch. Angesichts der Gegenstände mit ihren schrillen Farben und Formen erinnern wir uns an Objekte und Arrangements der Pop Art oder des Nouveau Réalisme der 1960er Jahre. Doris Staub Muster unterzieht dieses Abbild der Wirklichkeit jedoch einer neuerlichen Infragestellung des schönen Scheins und unseres tatsächlichen Daseins in einer weiten Welt des Fremden und Vertrauten.
Künstlergespräch Doris Staub Muster (Bern, September 2012):
Einstieg: Lesung Brief Liebe F
Liebe F, weißt Du noch... das ist wunderschöner Anfang für ein Kunst- und Literaturgespräch am Samstagnachmittag. Liebe Doris, mit dem Brief, den Du eben vorgelesen hast, beginnen wir unser Gespräch über Deine Ausstellung und Dein Buch „Reisen im Papierboot“. Der Brief ist Teil Deines Buches. In diesem Textausschnitt klingen bereits einige wichtige Themen an. Die Beschäftigung mit dem eigenen Alter. Das einbeziehen anderer Frauen in den Schreibprozess. Es ist aber auch ein Ermutigungsschreiben. Da erzählt uns jemand, die Künstlerin Doris Staub Muster, von ihrer Lust am Schreiben, aber auch von ihrem Zögern. Doris, du bist seit vielen Jahren als Künstlerin aber auch als Kunsterzieherin oder Kunstlehrerin erfolgreich. Wie kam es, dass Du dich nun an ein Buch gesetzt hast?
Ich habe schon mit meiner Gymifreundin F davon geträumt, selber einmal zu schreiben. Wir liebten beide die Literaturstunden und wetteiferten im Aufsatzschreiben. Nie hätte ich gedacht, dass ich je malen würde. Fürs Schreiben war dies aber ein nützlicher "Umweg", denn ohne diese Erfahrung hätte ich wohl kaum den Mut gehabt, einmal ein Buch zu veröffentlichen.
Du schreibst an einer Stelle „Schreiben ist viel exakter als Malen. Mit Worten lege ich mich fest.“ Du schreibst auch vom Wagnis „nicht verstanden zu werden.“ War das schwierig für Dich, Dich auf diese neue Form einzulassen? Das Wagnis des Nicht-Verstanden-Werdens, gibt es das in der bildenden Kunst nicht auch?
Doch, das habe ich ja oft erlebt inzwischen und genau diese Erfahrung liess mich reifen und feststellen, dass mir Kritik nicht schadet und ich mir eine neue Herausforderung zumuten kann.
„Beim Malen konnte ich Gefühle hervorholen und Stimmungen wiedergeben. Es entstanden abstrakte Arbeiten aus Angst vor dem Konkreten, dessen ich nicht mächtig bin. Vielleicht hilft der Malprozess und die dort gewonnenen Erfahrungen beim Schreiben. Ich stelle mir die Schreibarbeit als persönliches Ringen um Stil und Präzision und Klarheit im Tonfall und Sprachrhythmus vor.“
Etliche Freundinnen und Personen aus meinem Umfeld haben mich über Jahre hinweg ermutigt, ich solle zu schreiben versuchen. Die Lust dazu wuchs ganz leise, aber ich hatte ja kein Thema. Ausser dieser Idee mit dem Fragebogen. Er hat mit meinem Alter zu tun. Rundum gehen meine Bekannten in Pension. Also habe ich sie in mein zeitbedingtes Thema einzubinden versucht, was mir dann auch als Versprechen diente, etwas mit den Antworten zu kreieren. ich stellte mir dann vor, ein leeres Word-Dokument sei wie eine weisse Leinwand und entwickelte meine Gedanken wie beim Malen auch. Indem ich alles schriftlich formulierte, wurde mir viel konkreter bewusst, dass ich nun zu den Pensionierten gehöre, das Leben als Künstlerin jedoch weitergeht, bestimmt aber in einem langsameren Rhythmus als bisher.
Ich sprach eben von Ermutigung. War das auch ein Akt der Ermutigung, dass Du Freundinnen und Bekannte gebeten hast, Dich zu unterstützen, an Deinem Bucht beizutragen?
Ich habe zuerst ein paar Frauen interviewt und erste Fragebogen versandt. dann fielen mir immer mehr Frauen ein, bis ich schliesslich 30 Antworten beisammen hatte. Das dauerte allerdings geraume Zeit und unterdessen wuchs mein Buch immer weiter, weil mich das Schreibvirus nicht mehr los liess. Das Buch umfasst nun 210 Seiten, wobei dies höchstens noch ein Drittel des ursprünglichen Manuskripts ist.
In dem Brief, den Du uns vorgelesen hast, sprichst Du von einer „unwissenschaftlichen Feldstudie“. Was ist damit gemeint? Wie bist Du vorgegangen?
Ich habe Suggestivfragen drin, bin ohne genaues Konzept gestartet, habe eine Fülle von Antworten generiert, in denen ich mich gespiegelt sah. Dabei habe ich allerhand Empfindungen verspürt, die vervielfacht wurden durch die Menge von ähnlichen, aber auch konträren Antworten oder Statements. Es ist also viel Subjektives in der Art der Verarbeitung drin. Es hat jedoch einen gewissen Aussagegehalt, weil so viele Frauen mitgemacht haben. ich gebe auch einzelne Einwände von gebildeten Frauen gegen meine Art zu fragen wieder, was die Unwissenschaftlichkeit noch hervorhebt.
Wieviele Frauen haben mitgemacht?
30 von 36 Angefragten inklusive mir selbst.
Du schreibst an einer Stelle, Du möchtest der Frage nachgehen, was Frauen mit Jahrgang plusminus 1949, sogenannte Silver Surfer oder Golden Ager, so umtreibt kurz vor der Pensionierung. Was steht in dem Fragebogen?
Sehr unterschiedliche Fragen. Fragen zu gesellschaftlichen Prozessen wie: „Hat das Nur Hausfrau-Sein ausgedient?“ Aber auch sehr persönliche Fragen wie „Welche Träume hast Du?“, „Lebst Du im Moment oder planst Du viel im voraus?“ und „Hast Du Angst vor dem Altern?“. Ich wählte die Fragen, weil ich sie selber schwierig fand und einmal innehalten wollte inmitten der Informations- und Bilderflut, der Hektik, der globalen Vernetzung. Ich wollte in Ruhe hinschauen, wo ich stehe, jetzt, wo wir alle pensionierfähig werden und die Zeit fühlbar endlich ist.
Du gibst selber auch sehr freimütig Auskunft über Dich. Das Buch ist in einem tagebuchartigen Stil verfasst, es erzählt uns von Deinen Lebenserfahrungen und wir erfahren etwas über Doris die Internatsschülerin, die Sartre und Gide gelesen und vom Schreiben geträumt hat. Was hat Dich als junges Mädchen mehr interessiert oder mehr berührt: die Kunst oder die Literatur?
Ich war immer visuell ausgerichtet. Und als ich mich gewagt hatte, vor meiner etablierten Verwandtschaft den Tapiès im St.Galler Stadttheater zu verteidigen, glich das einer Initialzündung, später kamen dann die Antonionifilme und meine Studienzeit in Paris, wo ich Magritte entdeckte, der mir endgültig hinüberhalf in Parallelwelten und Traumreiche, in denen ich mich fortan öfter und öfter aufhielt.
Du schreibst „Ich stelle mir die Schreibarbeit als persönliches Ringen um Stil und Präzision und Klarheit im Tonfall und Sprachrhythmus vor.“ Du experimentierst mit unterschiedlichen Sprachmitteln. In dem Brief, in den Tagebuchpassagen finden wir oft einen sehr lockeren Ton, der nahe an der gesprochenen Sprache ist. Und es gibt Reisepassagen, in denen Du zu einem sehr poetischen, bildreichen, berückend dichten Ton findest. Ist dieser Unterschied bewusst gesetzt? Poetischer Titel „Reisen im Papierboot“?
Bridget Jones' Tagebuch, das ich einmal von einer Freundin erhielt, hat mich sehr zum Lachen gebracht und ich wünschte mir, auch so einen lockeren Stil zu pflegen. Als ich dann endlich die ersten Notizen machte, geschah das dann wirklich in ziemlich lockerem Stil. Später, auf Reisen, wirkte dies wie schon beim Gestalten und Malen sehr inspirierend, und da ich viel Zeit für mich hatte und mich um keinen Alltag zu kümmern braucht, verlegte ich mich dann auf sprachliches Experimentieren. Das geschah jedoch unbewusst, das geschah aus purer Schreiblust.
Bevor wir eine dieser Textpassagen zu einer Reise durch Japan hören, vielleicht noch ganz kurz ein paar Worte zum Thema Reisen und Asien allgemein. Du bist eine Vielreisende, eine Asienliebhaberin. Deine Arbeit ist in gewisser Weise eng verknüpft mit Asien. Sowohl Deine Fotoarbeiten als auch Deine Lehrtätigkeit. Du hast 2010 am Institute of Media in Bhutan unterrichtet (oder machst Du das immer noch?). Was verbindet Dich mit Asien?
Mit Asien allgemein:
ganz viel. Die Freundlichkeit, die Höflichkeit, die Gelassenheit, die Andersartigkeit, das Fremde, Unergründliche, Vielschichtige. Gegensätze ziehen sich und mich an. ich war jahrelang überzeugt, nie nach Japan zu reisen, wo alles so hochtechnisiert und durchgeregelt ist.
Mit Japan:
Mein Mann hat mich regelrecht überreden müssen, in das Land mit den starren Regeln und den Technowüsten zu reisen. Das Argument siegte schliesslich, dass man nur mitreden kan, wenn man sich auf etwas einlässt. Und somit wurde schliesslich eine Leidenschaft geweckt, wie ich sie mir unmöglich hätte vorstellen können.
Lesung: Reise „Allein in Japan unterwegs“ im Mai 2011
Jetzt brauchen wir eine kurze Erklärung: Wer ist Nanami?
Das ist meine Kunstfigur, eine Art Fee, meine persönliche Mangefee.
Und was bedeutet der Buchtitel?
Es gibt hinten im Buch ein Foto vom Papierboot, welches titelgebend wurde. Doch empfehle ich, das Bild erst am Schluss anzuschauen.
Du schreibst „Ich habe ja schon auf meiner ersten Japanreise die transparenten Plastikfolien von meiner Aussicht von zuhause mit Jungfrau, Mönch und Eiger drauf dabeigehabt, um quasi den Fuji mit den dreien manuell und real zu verbinden, und eben nicht per Photoshop.“ Diese Bilder waren 2009 hier in der Galerie zu sehen. Für mich hat diese Serie wunderbar die Erkenntnis illustriert, dass wir das Fremde, das Neue immer durch die eigenen Vorstellungen, die eigenen Bilder im Kopf sehen. Bei Dir sahen wir den Fuji durch die Jungfrau. Die Beschäftigung mit dem Prozess des Sehens und Erkennens und die Frage nach der Position des Sehenden beschäftigen Dich allgemein in Deiner Arbeit?
Ja, das ist mir sehr wichtig, dass meine Arbeit dazu beiträgt, ein bestimmtes Thema von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten.Wir können jedoch alle das Fremde nur durch das uns Vertraute wahrnemen. Aber Clichés und Fertigprodukte in allen Lebenssparten gibt es viel zu viel. Ich möchte hinter die Dinge schauen und vorschnellen Meinungen entgegenhalten. Dazu braucht es viel Wissen, aber auch Weisheit.
Du erwähnst in der Textpassage aus Japan einen rosaroten Faden, dem Du folgst. Es handelt sich um ein Kleidchen, das Deine Grossmutter für Dich gestrickt hat als Du klein warst. Du hast dieses Kleid – das können wir hier in der Installation und im Buch sehen – an verschiedenen Orten in Japan fotografiert. Was bedeutet das? Geht es hier nicht mehr nur um den westlichen, den schweizerischen Blick auf Japan, sondern um den persönlichen?
Es geht mir um den unvoreingenommenen Blick auf die Welt. Wenn ich ganz bei mir selber bin, wie eben Kinder dazu fähig sind, eröffnen sich ganz andere Wahrnehmungen.
Eine wunderschöne Textstelle lautet: „Die Welt gehört mir und meiner Kamera, was sollen da Worte hinterherhinken?“ Da steckt drin, wie eng der Prozess des Reisens und das Fotografieren miteinander verbunden sind. Da steckt aber auch das ungeheure Tempo drin, mit dem die Eindrücke auf Dich einstürmen. An anderer Stelle sagst Du es so wunderbar plastisch: „Bilder stehen Schlange. Sie sind in Überzahl gekommen.“ Diese Bewegung, dieses Drängende, diese Fliessende, diese Momente, die einander ruhelos folgen – das ist etwas, das Dich auch sehr beschäftigt in Deiner Arbeit...
Ich geniesse die Fülle, weil ich weiss, dass ich mich nachher lange wieder mit dem Verdauen beschäftigen kann. Die vielen Bilder helfen mir zuhause, wieder zur Ruhe zu kommen beim Sortieren. Ich sammle Material, aus dem ich dann wähle , das ich kombiniere, assoziativ, aufbauend auf früher gemachten Erfahrungen, jedoch neu aufgemischt, um der Gefahr der Routine und des dé-jà vu zu entgehen und um die Neugierde und das Staunenkönnen zu behalten. Nicht alle Menschen gehen dabei gleich vor.
Du sprichst von den Füssen der Gehenden in den Bahnhöfen, auf die Du Deine Kamera richtest. Wir sehen aber auch Bilder von Steinplatten, die durch Wasserflächen in japanischen Gärten führen und die ein anderes, ein ruhigeres, ein kontemplativeres Gehen evozieren. Das Gehen ist ein Prozess, der Dich interessiert und den Du immer wieder in Bildern festhältst. Das Gehen hat aber auch eine spirituelle oder philosophische Dimension für Dich, oder?
Als mein Vater starb, erhielt ich den Satz von Tagore: Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt. Das Gehen vollzieht sich im Heben und Senken des Fusses. Auch so können diese Bilder gelesen werden, dass alles sehr flüchtig und vorübergehend ist. „partir, c`est mourir un peu“, sagt Saint Exupéry. Ich übe den Gedanken des Loslassenmüssens schon seit langem und hoffe, ihm damit etwas von seinem Schrecken zu nehmen. Aber ich kenne die Antwort ja auch nicht.
Du fotografierst in der Fülle, in den „beiden Dschungelwelten“ wie Du das so schön fomulierst, in der Grossstadt und im Urwald. In den Arbeiten der Ausstellung wird diese Fülle, dieses Überflutende der Eindrücke intensiviert, indem Du mit Spiegelungen und Überlagerungen arbeitest. Kannst Du etwas zur Entstehung dieser Bilder sagen?
Ich habe im Keller mit dem Diaprojektor meines Vaters und einigen Spiegeln experimentiert und dabei die Entdeckung gemacht, dass ein einziges Bild plötzlich sehr verschieden wahrgenommen werden kann. Das hat mich fasziniert. Auch die Tatsache, dass ich das projizierte Bild nicht mehr wiederholen konnte, sobald ich die Spiegel ein wenig anders aufgebaut hatte. Die Einmaligkeit, aber auch die Flüchtigkeit eines einzelnen Bildes fand ich total spannend. In der Folge habe ich mit mehreren Projektionen gearbeitet und zu kombinieren begonnen.
Es entsteht ein kaleidoskopartiger Eindruck, der etwas von der Verunsicherung wiedergibt, mit der wir manchmal der Welt entgegentreten: was wir sehen ist faszinierend schön, aber nicht klar erkennbar oder benennbar. Ist das ein Phänomen unserer bildreichen Gegenwart? Oder ein grundsätzliches Problem des Menschen, der die Welt gar nicht ganz erfassen kann? Auch, weil er sich dabei vielleicht selber im Weg steht und einen zu grossen Schatten wirft auf alles, was er sieht?
Die Idee des Kaleidoskops hat mir geholfen, Andersartiges und Andersartigem gegenüber toleranter zu sein. Es gibt da sichtbare Verzerrungen und Verschiebungen, die aber alle von der gleichen Quelle ausgehen, auch kein Fotoshop wurde bemüht. In den Spiegeln wird man automatisch auf sich selber zurückgeworfen. Man muss sich mit „dem Andern“ auseinandersetzen, wenn man ganz ehrlich sein möchte.
Die Idee des Kaleidoskops steckt auch in der Installation, die wir im kleinen Raum sehen und die diese Ausstellung noch einmal mit Deinem Buch verknüpft. Kannst Du uns dazu noch etwas erzählen?
Die Installation erlaubt mir, den Prozess des Suchens und Findens zu veranschaulichen. Sie vereint meine beiden Arbeiten, die Fotoarbeiten und das Buch. Einmal kann man nachvollziehen, wie die Kaleidoskopbilder entstanden sind. Und es werden jene Bilder real projiziert, die im Buch Verwendung fanden, Ausserdem kann jeder Besucher selber auf eine Reise gehen.
Textauszug von Alice Henkes zur Eröffnung der Ausstellung "transition stage" von Doris Staub Muster in der Galerie Béatrice Brunner (Bern, 2009):
Doris Staub Musters neue Bilder unterlaufen den Gestus des Festhaltens. Sie gleiten. Und hätte sie ihre Bilder nicht auf objekthafte Acrylglasplatten gedruckt, so könnte man fürchten, sie flögen davon.
Paul Valéry sagte: Der Mensch lebt und stirbt in dem, was er sieht, aber er sieht nur, was er denkt.
Mit ihren mehrschichtigen Bildern findet Doris Staub Muster einen poetischen wie stimmigen Ausdruck dafür, wie wir Erfahrungen machen und uns mit unseren Eigenarten dem Andersartigen annähern.
Es sind keine Vereinnahmungen der Fremde. In den verschlungenen Mustern des Orients, in der satten Pflanzenfülle spüren wir jene reizvolle Exotik, die erst aus der Distanz entsteht. Der Blick des Reisenden mag partiell in die Tiefe gehen, geschult durch Lektüren, Gespräche, oft verweilt er jedoch an der Oberfläche der so andersartigen Kultur. Die Fremde ist ein Raum mit ungewissen Grenzen. Die transparenten Bilder, die Doris Staub Muster aus der Fahrt heraus gemacht hat, erzählen davon, indem sie uns gleichsam in Bewegung versetzen. Und dass der Blick des Reisenden ein schwebender Blick ist, der nicht geerdet ist durch soziale Bindungen und Alltagserfahrungen. Und wenn die Reise vorbei ist, gleichen die Erinnerungen bald zarten Wunschbildern, auch davon, von der Fragilität der inneren Bilder sprechen Doris Staub Musters traumgleiche Fotografien.
Textauszug des Kunstkritikers und Kunsthistorikers Dominik Imhof (Bern, April 2009):
Malerei und Fotografie stehen im Zentrum des Schaffens von Doris Staub Muster. Auf die zweidimensionale Fläche, wie man es bei diesen beiden Medien erwarten würde, lässt sich die Künstlerin jedoch keineswegs festlegen. Und so ist es nicht erstaunlich, dass sich auch Objekte und Installationen in ihrem Schaffen finden lassen. Bereits in frühen Malereien, genauso wie in aktuellen Fotografien, wandte sie verschiedene Materialien in Schichten an und sprengte damit die plane Fläche. Die Materialien sind dabei weit mehr als nur Malmittel oder Bildträger, sie sind Teil der Arbeit und bedingen letztlich ihr Aussehen und ihr Wirken. Damit benutzt die Künstlerin Techniken, in denen sie Themen wie Vergänglichkeit und Veränderung ideal umsetzen kann.
Mischtechniken bestimmten die Arbeiten Ende der 90er-Jahre. Mit Bitumen (Teer), Farbpigmenten und Sand aus den unterschiedlichsten Gegenden der Welt schuf sie abstrakte Kompositionen, die von ihren groben, porösen und zerklüfteten Oberflächen lebten. Feine Erhebungen zogen sich über die Leinwände genauso wie tiefes Craquelé – als sei die Leinwand verletzt, lebendig und würde sich auch Jahre nach der Entstehung noch verändern. Eine eigentümliche haptische Qualität erreichte die Künstlerin mit ihren meist in erdigen – vielleicht sogar schmutzigen – Farben ausgeführten geometrischen Abstraktionen. Auch der Zufall hatte Raum: wie sich Material und Oberfläche verhalten, ist nicht voll kontrollierbar. Mit der Serie der «fluids» (2005/06) ging die Künstlerin einen neuen Weg. Die geometrischen Formen sind verschwunden. Es ist aber nicht ein vollständiger Paradigmenwechsel, denn an gewissen Aspekten, die ihr Schaffen bis anhin prägten, hielt Doris Staub Muster auch hier fest. Die «fluids» sind zwar in ihrer Farbigkeit den irdenen Tönen der vorangehenden Schaffensphase entgegengesetzt, aber die Künstlerin baut wiederum Schicht um Schicht das jeweilige Bild auf. Jetzt bleibt das Bild jedoch plan, in einer Art Hinterglasmalerei, und ist nicht rau und narbig. Fliessend bewegen sich sanfte Linien über – eigentlich hinter – die Bildfläche. Umschlossen sind diese von einem silbernen Rand, der einen knappen Abstand bietet zur gleichförmigen Farbe des Untergrundes. Die fliessenden, rastlosen Linien wirken bewegt, als seien sie in steter Transformation, trotzdem ist den «fluids», gerade im Vergleich zu den früheren Arbeiten, eine Atmosphäre der Ruhe und Stille sowie eine gewisse Makellosigkeit eigen.
Auch in der neuen Werkreihe entwickelt Doris Staub Muster frühere Themen weiter. Wieder untersucht sie Flüchtiges. Der Bildträger ist ebenfalls Glas, doch war dieses in der Serie der «fluids» noch ausschliesslich Träger der Farbe, so wird das Acrylglas nun zum Objekt und zu einer zusätzlichen Ebene des Werkes: vom Mittel zum Zweck zu einer Bedingung. Das Acrylglas ist tiefer geworden, als es, um seinen Zweck als Bildträger zu erfüllen, eigentlich sein müsste. Es wird zu einer Bedingung, genauso wie die Farbe oder das Motiv, um eine ganz bestimmte Wirkung zu erzielen. Die entschwindenden Impressionen, die wie auf ein Stück zähflüssigen Äther gedruckt sind und in den Raum vordringen, erhalten damit einen massiven und doch so flüchtigen Objektcharakter. Entstanden sind die Fotografien auf Reisen in Japan, Bhutan und Persien: Stadtansichten und Landschaften, Blüten und Bambus, Menschen und Gegenstände, wie eine Fotoreportage zu einem exotischen Land sie zeigen könnte. Die Künstlerin setzt ihre frühere Arbeitsweise mit fotografischem Bildmaterial um. Einerseits bestehen die Fotografien aus Schichten, also Überlagerungen von Motiven aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Es entstehen Verschmelzungen von Disparatem, die unerwartete Zugänge eröffnen, unabhängig von einem kulturellen, politischen oder auch religiösen Ausgangspunkt des Betrachters. Überlagernde innere Bildwelten nehmen äusserlich Gestalt an. Parallelwelten und Harmonie finden sich. Andrerseits arbeitet Doris Staub Muster mit Unschärfen und Verwischungen, wodurch die Motive in eine diffuse Ferne zu entgleiten scheinen und einen enigmatischen, unfassbaren Zustand erreichen. Gleichzeitig leuchten dadurch die Farben durchdringend präsent. Die Abstraktion und Unfassbarkeit wird durch das Physische des Bildträgers noch verstärkt. Inhalt und Form gehen Hand in Hand. Beinahe paradox inszeniert die Künstlerin mit entfliehenden Motiven plastische Überdenk- und Verweilräume als Oasen in der Vergänglichkeit. Sie sucht mit ihren Bildern Halt in einer Zeit, da die Gesellschaft, von flüchtiger Informations- und Bilderflut geprägt, den Moment und das «Da-Sein» vergisst.
Textauszug der Kunsthistorikerin Sylvia E. Rüttimann (Bern, Januar 2006):
Doris Staub Musters neue Arbeiten bestechen zuerst einmal durch eine intensive Farbigkeit. Da gibt es ein Pink, ein Gelb, ein Orange, ein dunkles Aubergine, das mit einem klaren Hellblau kontrastiert, ein strahlendes Grün, ja immer wieder ein Grün, in diversen Schattierungen und Intensitätsgraden, um dann wieder gedämpft zu werden durch einen verhalteneren Ton, einer Pastellfarbe zwischen Grau, Weiss und Beige changierend, vielleicht mit einem Schuss Gelb angereichert – aber auch dieser Ton durch die Technik der Hinterglasmalerei zu einer strahlenden Leuchtkraft gebracht. Verbunden werden die verschiedenen Farbklänge nun durch ein alle Arbeiten durchziehendes Element, das dem mitreissenden Farbrhythmus eine beruhigende Komponente verleiht. Meist in der Mitte des Bildquadrats – die Künstlerin hat sich für ihre neuen Arbeiten durchgehend für die quadratische Form entschlossen – manchmal aber auch an dessen Rändern, befinden sich organische Formengebilde, die im Gegensatz zur abwechslungsreichen Farbigkeit der Hintergründe alle einen ähnlichen bräunlichen Ton aufweisen. Es sind Formen mit einer ganz eigentümlichen organisch-fliessenden Struktur, weich und rund, die zudem durch die Verteilung der Farbe - in der Mitte hell, gegen die Ränder dunkler werdend und so eine Schattierung andeutend – dreidimensional wirken. Die Formen vereinen die Dualität des organischen, fliessenden, vergänglichen Lebens mit dem stillgelegten beständigen Moment.
Land und Wasser, Fliessen und Ruhen, Vergänglichkeit und Ewigkeit sind Assoziationen, die Doris Staub Musters Arbeiten durchziehen, sei dies in ihren Bildern, Skulpturen oder Videoarbeiten, in denen nun die Bewegung des Fliessens nicht nur in unseren Köpfen stattfindet, sondern ganz real.
Die Kunsthistorikerin Sylvia E. Rüttimann im Gespräch mit Doris Staub Muster (Galerie Beatrice Brunner Bern, März 2006):
1.
Kannst du etwas über die Technik dieser neuen Werke sagen? Sind sie mit einem Computerprogramm hergestellt worden, wie das ja heutzutage einige Künstler machen, man denke an Markus Weiss, der fantastische Welten auf dem Computer entwirft und sie dann abmalt? Du scheinst ja auch Gefallen an technischen Medien gefunden zu haben, machst nicht nur Fotografien, sondern auch Videos und Skulpturen, die industriell hergestellt aussehen. Wendest du dich gegen das Kunstwerk als vom Künstler hergestelltes Unikat, oder näherst du dich einer kühlen Ästhetik wie man sie aus der Grafik kennt an?
Früher habe ich mit Teer gearbeitet. Seine Oberfläche glänzt lackartig. Teerlack trocknet nie vollständig. Deshalb verband ich ihn mit Sand, Pigmenten und andern organischen Materialien, verwendete ihn als Bindemittel, was die Bildfläche matt, uneben, haptisch erscheinen lässt.
Bei den neuen Arbeiten glänzen und leuchten die Farben dank der Hinterglastechnik auffallend stark. Ich wollte das Gegenteil der bisherigen Erscheinungsform erkunden, habe auch rein technisch umgekehrt gearbeitet, nämlich von vorn nach hinten, wiederum dreidimensional. Das erfordert zwar keinen Computer, jedoch ein genaues Vorstellungsvermögen, weil sich hinter Glas gar nichts korrigieren lässt. Die Teerbilder waren viel geduldiger, sie liessen sich fast beliebig übermalen. Die neue Arbeitsweise fordert mich sehr, weil ich mich zum vornherein entscheiden muss, wie ich die Materialien fliessen lasse oder auftrage, welche Farben ich mische, ob ich die Pigmente sichtbar mache.
Ich wende mich nicht gegen ein Werk als Unikat, sondern pflege das Individuelle bewusst. Alle Arbeiten sind jedoch durch ein Konzept verbunden. Dass sie nun kühler und frischer als früher wirken, liegt bereits in der Materialwahl begründet.
2.
Ist es eine gestische Malerei wie bei Jackson Pollocks drippings, die sehr subjektiv und expressiv ist und den Künstler als kreativen Schöpfer zelebriert, der mittels der Kunst sein Inneres nach Aussen kehrt? Geht es dir um deine eigene künstlerische Empfindlichkeit?
Ich will und kann mich nicht selbst inszenieren. Mein Ansatz ist ein anderer. Ich gebe dem Form, was mich als Teil der menschlichen Spezies beschäftigt: Aengste, Gefühle, Hoffnung. Man kann es auch Geistiges nennen. Meine Fluids sind als eine Dimension der Zeit zu verstehen. Fliessen als Ausdruck von Werden und Vergehen. Wenn meine Arbeit beim Betrachter einen Klang oder eine Welle auslöst, so fängt sie zu leben an.
Es interessiert mich im Gegensatz zu Pollock wohl eher, wie die heutigen Medien in ihrer oft kühlen Aeusserlichkeit den Betrachter berühren. Vom künstlerischen Verständis her hinken wohl die meisten von uns der sogenannten „Sprache unserer Zeit“ hinterher, wie bei der modernen Musik auch.
3.
Der Zufall, aber auch das Spiel sind Begriffe, die dir wichtig sind. Siehst du dich da auch in einer Tradition? Wie stehst du zu DADA und Fluxus, die heutige interaktive Kunst? Gerade heute spielt die Kunst wieder gern, indem sie interaktiv ist, etc.
Als Schülerin einer Nonnenschule hörte ich immerhin schon früh im Literaturunterricht von den Dadaisten. Ich war begeistert von ihrer freiheitlichen Denk- und Ausdrucksweise, von ihrer Poesie, ihrer lustvollen Unbekümmertheit. Sie schufen mir Freiräume in meiner engen Welt und haben mich ermutigt durchzuhalten. Später traf ich auf einen wichtigen Fluxus Künstler aus Prag, der heute aber leider verhältnismässig konventionell lebt.
Die Arbeit im Atelier bietet mir eine Möglichkeit, die künstlerische Freiheit zu nützen, der Spiel- und Experimentierfreude zu frönen.
4.
Das Wort „Forschung“ ist im Zusammenhang mit dem Kunstmachen schon gefallen. Was meinst du damit?
Zunächst einmal meine ich das rein assoziativ, dann aber auch philosophisch. Vor allem meine Bilder erinnern manche an Aufnahmen aus dem All, andere denken an Aufnahmen aus medizinischen Labors, wieder andere an Wellenrhythmen. Mich selber interessiert die Chaosforschung. Sie kommentiert und dokumentiert höchst anschaulich, dass sich sowohl im Mikro- als auch im Makrokosmos einige wenige Grundstrukturen endlos wiederholen. An der Expo war im Pavillon der Wissenschaft dargestellt, wie wenige DNA-Paare für die gesamte Erbmasse eines Menschen verantwortlich sind und alle übrigen Billionen von Paaren mit jenen aller Billionen von Menschen identisch waren, sind und sein werden…
5.
Du nennst die Werke „Fluids“. Damit gibst du eigentlich eine Interpretation. Es geht um das „Flüssige“. Was meinst du damit? Wie wichtig ist dir eine inhaltliche Interpretation der Werke?
Ja, der Titel beinhaltet eine Erklärung. Nehmen wir zum Beispiel Wasser. Es dringt in die kleinste Oeffnung, fliesst zwischen winzige Sandkörner, solange es nicht gebremst wird. Welch eine herrliche Freiheit! Und welch eine unheimliche Gefahr gleichzeitig!
Zwischen diesen Polen bewegen wir uns alle. Was soll Zufall? Was fällt uns zu? Laufend treffen wir Entscheidungen, doch wie viele davon eigentlich unbewusst? Alles ist eine Frage der Wahrnehmung, des Bewusstseins überhaupt. Dieses zu schärfen, ist eine Aufgabe der Kunst.
6.
Deine Arbeit ist einerseits durchaus konzeptuell, andererseits eben auch sehr sinnlich und lustvoll. Sie ist auch hier ambivalent. Es geht dir auch um Gegensätze, zwei Seiten der Medaille. Eingefrorene Bewegung in den Skulpturen wie den Bildern. Die Fliessfiguren könnten auch Landschaften sein. Das Video hat zwei Teile, du nennst sie den intellektuellen und den emotionalenTeil, symbolisiert durch rund und eckig.
Die Ambivalenz hinter allen Dingen beschäftigt mich, seit ich von der hegelianischen Dualitätstheorie hörte. Ich möchte mit These und Antithese zur Synthese gelangen. Das ist allerdings so abstrakt, dass die Hände dem Kopf zu Hilfe kommen müssen. Die zweite Videoarbeit spricht davon wohl am deutlichsten.
7.
Eigentlich sind die Werke ja sehr offen für verschiedene Interpretationen, was ich als eine Stärke der Arbeit empfinde. Man hat ganz verschiedene Assoziationen. Ich fand es sehr interessant, dass zum Beispiel mein Vater, der Zahnarzt ist, nicht an Wasser dachte, sondern an histologische Schnitte, also mit einer durch seinen Beruf geprägten Erwartungshaltung an die Arbeiten heranging. Für mich ist deine Arbeit ein schönes Beispiel eines offenen Kunstwerks, das mehrere Interpretationen zulässt, es zeigt sich eine spielerische Haltung gegenüber Werten, Vorstellungen, Inhalten, wie schon erwähnt eine Leichtigkeit und lustvolle Sinnlichkeit. Aber es ist eben auch eine Kunst, die sich nicht engagiert. Hattest du nie das Bedürfnis, mehr politisch engagiert zu arbeiten? Wie siehst du die Rolle des Künstlers heute?
Ich überlasse die politische Kunst gerne jenen, die etwas davon verstehen, die den Mut zum Engagement haben. Ich habe mich in jungen Jahren politisch exponiert, wurde aber sehr enttäuscht.
Künstler können und sollen Denkräume schaffen, unkonventionelle Wege öffnen, Sichtweisen prägen, Wahrnehmung beeinflussen, Fragen aufwerfen, zu denen es keine vorfabrizierten Antworten gibt.
8.
Die Arbeiten sind alle im selben Format, quadratisch, das Vorgehen ist bei allen dasselbe. Man könnte es Thema mit Variation nennen. Inwiefern spielt dir der Rhythmus, das Musikalische eine Rolle, im Einzelbild sowie in den Bildern als Ganzes? Wie gehören die Bilder eigentlich zusammen? Denkst du sie als Serie? Sogar als Installation?
Man spricht vom Farbton. Farben tönen, bergen Musikalität schon in sich. Dominik Stauchs Videoarbeiten, in denen er ganze Farbkonzerte auf dem Computer orchestriert, haben mich sehr beeindruckt. Ich stelle mir meine Farbtafeln auch verschieden komponiert oder kombiniert vor, wünsche mir vom Publikum, dass es selber Klangreihen erstellt durch Umhängen der einzelnen Quadrate. Spielerisch könnten sie zu tanzen beginnen, in verschiedenen Rhythmen.
Tatsächlich fühlte sich ein Besucher, Komponist von zeitgenössischer Musik, von meinem Video inspiriert. Vielleicht lässt auch er einmal eine andere Dimension von Zeit in neueTöne fliessen?
9.
Du hast dir ganz neue Medien erschlossen, wie das gefilmte bewegte Bild, aber auch Skulptur und Fotografie, andererseits sind haben die Bilder auch einen dreidimensionalen Charakter durch die leicht erhobene Fliessfigur. Tatsächlich ist es ja so, dass man heutzutage auch von einer Hybridkultur spricht, die Medien werden nicht nur abwechslungsweise gebraucht, sondern vermischen sich untereinander. Wie stehst du dazu? Wie wichtig findest du ist heute noch das Medium?
Es ist genau das, was mich interessiert, diese Hybridkultur. Früher musste ich Latein büffeln, war dann Sprachlehrerin. Heute erarbeite ich im Atelier neue Ausdrucksmöglichkeiten. Mit grosser Lust habe ich verschiedene „Sprachen“ eingesetzt und sie miteinander vernetzt. Das geschah prozesshaft und erreichte den Höhepunkt beim Einrichten der Ausstellung dank einer geglückten Uebereinstimmung mit der Galeristin und ihren Räumen.
Durch die Wiederholung sich gleichender Formen verdichtet sich der Inhalt, gewinnt die Dimension der Zeit an Plastizität. Der Inhalt ändert sich kaum und wenn, dann sehr langsam. Die Medien als Träger des Inhalts benötige ich zum Festhalten einer sonst davonfliessenden Welle.
Textauszug Dorothe Freiburghaus (Kunstkeller Bern, Juli 2000):
Doris Staub Muster entdeckt die Farbpigmente und den Teer, genauer Bitumen, ein Teerderivat. Die Masse lässt sich glattstreichen, aber auch ritzen, aufkratzen und verletzen. Der Teer seinerseits zersetzt die Farbpigmente, so dass ein Zwischenträger für ihre Farben nötig wird. Im Spannungsfeld der unterschiedlichen Materialien entstehen Haarrisse und Schrunden, pechschwarze Abgründe, die nicht voraussehbar sind. Aber gerade dieses Eigenleben der Mittel ist faszinierend und wirkt animierend.
Ein anderes Thema der Künstlerin basiert auf Naturobjekten. Sie erarbeitet zerbrechliche Gebilde aus Latex. Blätter, Rinde, Baumstrünke bestreicht sie mit natürlicher Gummimilch, die dann als Haut eintrocknet und sich später abziehen lässt. Die Strukturen der Naturgebilde prägen sich direkt im Material ein. Rindenteilchen bleiben kleben, Sprünge, Risse werden reproduziert, der Atem vom Lebendigen ist gleichsam lichtdurchlässig und fragil eingefangen. Auch in diesem Arbeitsprozess wird das Material mit seinem Eigenleben wichtig.
Fast bin ich versucht zu schreiben, dass das Material das Motiv sei - so intensiv ist die Auseinandersetzung damit. Das stimmt vielleicht sogar, wenn ich dazusetze:
der Arbeitsprozess ist begleitet von scharfer Beobachtung der sich verändernden Aussage. Diese wird geprägt von der Eigengesetzlichkeit der widerspenstigen Materialien und den persönlichen Eingriffen. Das fertige Bild wird eine bewusste Gewichtung von "Geschehenlassen" und Gestalten.
Das Aussergewöhnliche in der Arbeit von Doris Staub Muster ist die Direktheit, mit der abstrakte Werte, seelische Prozesse in handgreifliches Material transponiert und mit Händen bearbeitet und visualisiert werden.